Zwischen Erfolg und Elend

HNA-Redakteur erinnert sich: Alle Fußball-Europameisterschaften im Rückblick

Juni 2016. Deutschland steht in der Endrunde einer Europameisterschaft. Zum 9. Mal beim insgesamt 13. Turnier. Die DFB-Elf glänzte während dieser Zeit, prägte eine Ära – blamierte sich aber auch bis auf die Knochen. Einer, der alle Endrunden verfolgt hat, ist Sportredakteur Gerd Brehm. Bei der HNA ist er ein wandelndes Fußballlexikon. Wenn es etwas Außergewöhnliches bei einem wichtigen EM-Spiel gegeben hat – Brehm kann sich daran erinnern. Und es wie auf Knopfdruck wiedergeben. Bei unserem Tippspiel mit 63 Teilnehmern steht er nach der Gruppenphase souverän auf dem ersten Platz. Als Redakteur wird Brehm 2016 zum letzten Mal eine EM begleiten. Bald geht er in den Ruhestand. Anlass genug, die EM-Historie Revue passieren zu lassen.

Gerd, schieß los!

1960 in Frankreich – Das erste Mal

Im Bild: Der jugoslawische Torhüter Soskic fängt den Ball sicher im Pariser Prinzenparkstadion im Endspiel gegen die UdSSR.

“1960 war ich acht Jahre alt, habe mich aber schon sehr für Fußball interessiert. Ich hatte bei der WM 1958 in Schweden schon Spiele gesehen. Obwohl wir noch keinen Fernseher hatten. Aber damals ist man auf dem Dorf in die Nachbarschaft gegangen zu den wenigen Leuten, die schon Fernsehapparate besaßen. Ich kann mich noch erinnern, dass Deutschland gegen Argentinien damals das erste Fußballspiel war, das ich gesehen hatte.

Die erste EM 1960 bekam ich aber nicht so bewusst mit, ich habe vieles später nachgelesen. Das Turnier hatte allgemein keine große Bedeutung. Alles fing sehr klein an mit nur vier Mannschaften und hieß auch noch nicht Fußballeuropameisterschaft, sondern Europapokal der Nationen. Im Grunde genommen wurde es von vielen großen europäischen Fußballnationen boykottiert. Der damalige deutsche Fußballnationaltrainer Sepp Herberger hat beispielsweise gesagt: „Das stört mich nur zwischen zwei Weltmeisterschaften.“ Gemeint waren die Turniere 1958 in Schweden und 1962 in Chile. Herberger wollte sich mit Testspielen und Trainingslagern auf Chile vorbereiten.

Es waren also nur vier Mannschaften in der Endrunde. Die erste Endrunde fand in Frankreich statt. Die Franzosen waren immer die treibenden Kräfte, wenn es um europäischen Fußball ging. Sie hatten schon den Europapokal der Vereinsmannschaften initiiert und es waren auch die Franzosen, die die Idee für den Europapokal der Nationen hatten. Neben Frankreich waren 1969 die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Jugoslawien dabei. Am Ende kam es zum Endspiel zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien. Die Sowjetunion gewann und wurde der erste Europameister.

Die interessantere Geschichte spielte sich aber ab, bevor der Ball in der Endrunde überhaupt rollte. Im Modus des Europapokals der Vereinsmannschaften wurde ermittelt, wer in die Endrunde darf. Zwei Nationen spielten im Hin- und Rückspiel in ihren Ländern gegeneinander. Und da sollte es die Begegnung Sowjetunion gegen Spanien geben. Im Kalten Krieg war das ein Zusammenstoß der Systeme: die sozialistische Sowjetunion gegen die rechte Franco-Diktatur in Spanien. Franco hat die spanische Mannschaft, die schon am Flughafen war, um zum Spiel zu fliegen, zurückrufen lassen. Kurz vor Abflug. „Gegen die Sowjetunion treten wir nicht an“, lautete die Begründung. Es war die autoritäre Haltung eines Diktators, die schon bald von Inkonsequenz gezeichnet war.”

Sieger: Sowjetunion


1964 in Spanien – Und sie spielen doch gegeneinander

Im Bild: Der spanische Fußballer Jesus Pereda erzielt kurz nach dem Anpfiff im Finale das 1:0.

“Vier Jahre später fand die Endrunde in Spanien statt - mit der Sowjetunion. Besondere Vorkommnisse fallen mir zu dieser EM nicht ein. Es hat sich lediglich etwas ergeben, was nicht so oft vorkam bei Europameisterschaften: Dass der Gastgeber gewonnen hat. Spanien setzte sich im Finale mit 2:1 durch – ausgerechnet gegen die Sowjetunion.”

Sieger: Spanien

1968 in Italien – Langeweile ohne Deutschland

Der italienische Fußball-Nationalspieler Giancinto Facchetti freut sich über den EM-Pokal

“An diese Europameisterschaft – 1968 in Italien –  ist meine Erinnerung deutlich genauer. Damals habe ich das Geschehen vor dem Fernseher verfolgt. Die Besonderheit: Deutschland wollte zum ersten Mal mitmachen.

Die DFB-Elf  war damals eine der besten Mannschaften der Welt. Sie hatte nur sehr unglücklich das WM-Endspiel in England 1966 durch das irreguläre Wembley-Tor verloren und galt bei der EM 1968 als Favorit. In der Endrunde, an der noch immer nur vier Mannschaften teilnahmen, waren die Deutschen aber nicht dabei. Ein Sieg hatte gefehlt, um sich zu qualifizieren. In Albanien holten sie nur ein 0:0. Dadurch landete Jugoslawien in der Endrunde und nicht Deutschland.

Ich war damals 16 Jahre alt und war natürlich sehr enttäuscht, dass Deutschland nicht dabei war, womit ich stark gerechnet hatte. Dennoch habe ich mich so sehr für Fußball interessiert, dass ich die Spiele gesehen habe.

Die Jugoslawen schafften es ins Finale, wurden dann aber von Gastgeber Italien besiegt – wenn auch mit sehr viel Glück. Zunächst waren die Italiener im Halbfinale nach einem 0:0 per Münzwurf weitergekommen. Im Endspiel gab es wieder ein Unentschieden nach Verlängerung. Statt Elfmeterschießen wurde damals ein Wiederholungsspiel ausgetragen. Und das gewann Italien schließlich. Die Italiener spielten damals schon so, wie man es von ihnen kennt: Sehr defensiv, haben nichts zugelassen. Es waren sehr langweilige Spiele.”

Sieger: Italien


1972 in Belgien – Einzigartig gut

Im Bild: Gerd Müller schießt im Finale gegen die Sowjetunion. Links: Jupp Heynckes.

“Dann aber wurde es interessant. 1972 waren immer noch nur vier Mannschaften in der Endrunde. Deshalb muss man weiter ausholen, denn das interessanteste der EM 1972 war das Viertelfinale vor der eigentlichen Endrunde. Da gab es ein Spiel, an das sich sehr viele Leute noch sehr gut erinnern können, nämlich England gegen Deutschland, Hin und Rückspiel. Das Hinspiel fand im Wembley-Stadion statt und noch nie hatte eine deutsche Mannschaft in Wembley gewonnen.

Doch das sollte sich ändern. Deutschland gewann 3:1. Seitdem wird diese Partie immer genannt, wenn es um die zehn besten oder erinnerungswürdigsten deutschen Spiele geht. Für viele ist das der Glanzpunkt der ohnehin schon am besten spielenden deutschen Mannschaft, die es jemals gab. Viele Jüngere sagen zwar, dass man die Spiele von damals und von heute nicht vergleichen kann, weil heute alles schneller und enger ist. Das stimmt schon. Aber zum Zuschauen war es damals wirklich großartig. Beckenbauer und Netzer konnten sich mit mehreren Doppelpässen durchs Mittelfeld bewegen und Netzer einen Riesenlauf vom eigenen zum gegnerischen Strafraum machen, an drei, vier Leuten vorbei. Beckenbauer und Netzer - das waren die beiden Spieler, die damals ihre beste Zeit hatten und großartig zusammengespielt und harmoniert haben. 1:0 Hoeneß, dann der Ausgleich, 2:1 durch Netzer, der mit Glück einen Elfer verwandelte. Und dann das 3:1 durch Gerd Müller in seiner typischen Art: ein Schuss aus der Drehung, kurz vor Schluss. Die Entscheidung!

Deutschland stand zum ersten Mal in der Endrunde. Außerdem dabei: Sowjetunion, Belgien, Ungarn. Im Halbfinale besiegte Deutschland Belgien mit 2:1. Auch wenn das Ergebnis knapp klingt: Die Deutschen waren damals so überlegen, dass keine Mannschaft in Europa ihnen das Wasser reichen konnte. Der Sieg gegen Belgien war ungefährdet. Beckenbauer und Netzer haben perfekt gespielt. Im Endspiel war es dann wirklich ein Klassenunterschied. Die Sowjetunion wurde mit 3:0 völlig an die Wand gespielt. So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben.”

Sieger: Deutschland


1976 in Jugoslawien – „Den Ball suchen die heute noch“

Im Bild: Uli Hoeneß verschießt den entscheidenden Elfmeter im Finale

“In den 1970er-Jahren war ich Student und konnte mir die Zeit für Fußballgucken entsprechend einteilen. Das war auch bei der EM 1976 so. Deutschland schaffte es wieder ins Endspiel gegen Jugoslawien. Die Deutschen waren zwar im Finale favorisiert, haben sich aber mit Glück in die Verlängerung gerettet. Nach 120 Minuten kam es beim Stand von 2:2 zum Elfmeterschießen. Alle fünf Tschechoslowaken haben verwandelt und vier Deutsche. Uli Hoeneß ist aber bemerkenswert gescheitert. Das war nicht einfach nur verschossen. Der Ball flog praktisch aus dem Stadion. Irre hoch drüber.

Elfmeter, die verschossen werden, kommen meistens flach und werden vom Torwart gehalten oder gehen knapp am Tor vorbei, knapp drüber, Latte, Pfosten. Dieser Ball flog aber  in die Zuschauerränge hinein – und diese waren sehr weit weg, weil es damals keine speziellen Fußballstadien gab, zumindest nicht in Jugoslawien.

Hoeneß ist dafür relativ bald und oft verspottet worden. „Den Ball suchen sie in Belgrad heute noch“, witzelte Franz Beckenbauer noch nach Jahren. Und das ganze Land hat es im Fernsehen gesehen. Immerhin gab es noch kein Internet, dann hätte Hoeneß noch mehr Häme abbekommen.”

Sieger: Tschechoslowakei

1980 in Italien – Spiele vor halbleeren Rängen

Im Bild: Horst Hrubesch beim Kopfballversuch in Finale gegen Belgien

“1980 hatte ich schon größere Schwierigkeiten, mir alle Spiele der EM-Endrunde anzugucken. Ich studierte und hatte nicht das Glück wie bei der WM 1974, dass ich mir das Bein gebrochen hatte und in Ruhe fernsehen konnte. Ich musste mir die Zeit geschickt einteilen, aber für die meisten Spiele hat es gereicht.

1980 waren schon acht Mannschaften in der Finalrunde dabei. Das deutsche Team war allerdings nicht mehr so gut, jedenfalls nicht mehr so gut anzuschauen. Sie spielten nicht mehr so attraktiv und waren den anderen nicht mehr so überlegen wie in den 1970er-Jahren. Trotzdem wurden sie Europameister.

Die Spieler waren größtenteils schon aus einer anderen Generation. Nicht mehr Beckenbauer, Netzer und Müller hießen die Stars, sondern Karl-Heinz Rummenigge, Bernd Schuster und Horst Hrubesch. Und Hrubesch war derjenige, der im Endspiel gegen Belgien beide Tore geschossen hat - das zweite kurz vor Schluss in seiner typischen Art per Kopf. Er war ohnehin ein interessanter Mann, wurde erst mit 29 Jahren Nationalspieler, war vorher lange Zeit Amateur gewesen oder in der zweiten Liga.

Während er EM war er allerdings schon beim HSV und war zum ersten Mal in den EM-Kader berufen worden.

Wie viele andere Spiele bei dieser EM, so fand auch das Finale vor halb leeren Rängen statt. Gastgeber Italien spielte schlecht, schied schnell aus und die Italiener hatten überhaupt nicht so viel Lust auf Fußball. Das Land hatte mit einem Wettskandal zu kämpfen. Mannschaften und Spieler wurden gesperrt und für die Nationalmannschaft hat sich auch keiner so richtig interessiert. Selbst beim Endspiel blieben viele Plätze leer.”

Sieger: Deutschland

1984 in Frankreich – Ein Torrekord für die Ewigkeit

Im Bild: Preben Elkjaer-Larsen (links, Dänemark) und Michel Platini (Frankreich)

“1984 war ich kein Student mehr, habe gearbeitet, habe mit einer Frau zusammengewohnt. Da war schon die Gefahr da, dass ich eine Europameisterschaftsendrunde mir nicht mehr komplett anschauen konnte. (lacht)

Ich habe trotzdem ziemlich viel von der EM 1984 mitbekommen. Die fand in Frankreich statt und das war die erste EM-Endrunde, bei der Deutschland ziemlich schlecht war. Obwohl das gute Einzelspieler waren: Rummenigge, Allofs, Magath. Von den Namen her war das eine gute Mannschaft, aber das war ganz enttäuschend. Die Deutschen sind schon in der Vorrunde rausgeflogen. Geprägt wurde das Turnier von Frankreich. Die Franzosen sind immer ganz gut, wenn sie Turniere im eigenen Land austragen. Bei der EM 1984 war das so und dann später bei der WM 1998.

1984 wurde die EM dominiert von einem Spieler: Michel Platini. Die jüngeren kennen ihn nur noch als Funktionär, der vieles verbockt hat, aber er war damals wirklich ein grandioser Spieler. Und er hat einen Torrekord aufgestellt: in fünf Spielen neun Tore. Ein Rekord für die Ewigkeit. Er hat manche Spiele alleine entschieden. Frankreich gewann alle Partien, manche sogar sehr klar, und hat wirklich toll gespielt. Nicht nur Platini, sondern auch Akteure wie Alain Giresse, Patrick Battiston und Jean Tigana.”

Sieger: Frankreich

1988 in Deutschland – Ein Schuss zum mit der Zunge schnalzen

Im Bild: Marco van Basten und Ruud Gullit

“1988 war ich Sportredakteur bei der HNA und dann fing es an, dass ich mich nicht mehr so intensiv mit der EM befassen konnte. Das klingt absurd, ist aber so. Weil man bei vielen Spielen arbeiten muss und immer nur mit einem Auge hinschielen kann. Daher ist mir die EM 1988 nicht so gut in Erinnerung geblieben wie die davor.

Die EM-Endrunde fand in Deutschland statt – mit acht Mannschaften wie vorher schon 1980 und 1984. Franz Beckenbauer war mittlerweile Teamchef der deutschen Mannschaft, nachdem Jupp Derwall nach der schwachen EM 1984 entlassen worden war. Die Mannschaft hatte sich da schon ein bisschen berappelt, war aber nicht so gut, wie vorher oder später, sodass es keine Überraschung war, dass das Halbfinale gegen Holland verloren ging.

Die Holländer waren damals wirklich sehr gut und haben 2:1 gegen Deutschland gewonnen. Und haben dann ihren einzigen Titel geholt. Das muss man sich erstmal vorstellen! Die waren ja oft sehr gut, aber sie haben tatsächlich in all den Jahren nur einen Titel gewonnen, den EM-Titel 1988 – ausgerechnet in Deutschland. Im Endspiel gab es eine legendäre Szene, die allen, die sie gesehen haben, in Erinnerung bleiben wird. Marco van Basten hat ein tolles Tor gemacht. Das war praktisch von der Torauslinie aus superspitzem Winkel volley genommen und in den Torwinkel geschossen. Ein ganz schwerer Schuss, er musste mit dem Fuß richtig hoch gehen. Das ist eines der schönsten Tore überhaupt und wird immer in Erinnerung bleiben.”

Sieger: Niederlande

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1992 in Schweden – Titel statt Urlaub

Im Bild: Die dänischen Spieler Flemming Povlsen (Mitte) und John Jensen (rechts) bejubeln die 1:0-Führung gegen Deutschland im Endspiel.

“1992 war ich verheiratet, wir hatten aber noch keine Kinder. Deswegen hatte ich noch ein bisschen Zeit, die Europameisterschaft zu gucken. Diese EM hatte auch eine sehr interessante Geschichte. In Schweden waren immer noch nur acht Nationen dabei, darunter Jugoslawien. Aber als es im Sommer losgehen sollte, gab es Jugoslawien schon gar nicht mehr so richtig. Es herrschte Bürgerkrieg und Jugoslawien durfte nicht mehr an dieser Endrunde teilnehmen.

Die Dänen sollten einspringen. Die waren aber schon alle im Urlaub. Und die Entscheidung wurde komischerweise auch erst kurz bevor es losging, getroffen. Alle haben gedacht: Die Dänen komplettieren mal eben das Feld, damit es keine Spielausfälle gibt, machen kurz mit und fahren dann nach Hause. Aber Dänemark kam ins Endspiel gegen die Deutschen, die damals eine sehr starke Mannschaft hatten. Thomas Häßler war sehr gut, Matthias Sammer auch und Karl-Heinz Riedle wurde Torschützenkönig. Und sie hatten noch viele Spieler der Mannschaft, die zwei Jahre vorher noch Weltmeister geworden war. Doch es hat nichts genutzt. Die aus dem Urlaub gekommenen Dänen haben tatsächlich 2:0 gewonnen und wurden Europameister.”

Sieger: Dänemark

1996 in England – Englischer Fluch und goldenes Tor

Im Bild: Mitspieler und Torwarttrainer Sepp Maier bejubeln den deutschen Torhüter Andreas Köpke nach dem Sieg im Elfmeterschießen gegen England.

“1996 war ich Redakteur, war verheiratet und hatte Kinder, sodass mir weniger Zeit blieb, sich intensiv mit der EM zu beschäftigen. Was natürlich nicht heißt, dass es völlig an mir vorübergegangen ist.

In England gab es zum ersten Mal eine Endrunde mit 16 Mannschaften. Da wurde viel Brimborium gemacht, überall wurde gesungen „Football is coming home“. Der WM-Heimsieg war schon 30 Jahre her und die Engländer wollten es den Franzosen nachmachen und die Heim-EM gewinnen. Sie hatten auch eine starke Mannschaft. Im Halbfinale gab es Elfmeterschießen gegen Deutschland und da ist es tatsächlich so, dass es, wenn es Elfmeterschießen zwischen England und Deutschland gibt, dann gewinnt immer Deutschland.

Und so war es auch 1996. Dieses Dauerdrama mit den englischen Elfern wurde dadurch natürlich noch verstärkt. Vorher hatte es das schon gegeben, 1990 bei der WM in Italien. Damals war auch im Halbfinale im Elfmeterschießen gegen Deutschland Schluss. Auch englische Vereinsmannschaften hatten diese Elfer-Misere. Die EM-Niederlage 1996 im eigenen Land tat besonders weh – vor allem weil die Engländer während des Spiel zugegebenermaßen ein bisschen besser waren und mehr Chancen hatten als die Deutschen.

Die EM 1996 hatte aber auch eine andere Besonderheit: Erstmals fiel die Entscheidung durch ein Golden Goal. Nach 90 Minuten stand es im Endspiel Deutschland - Tschechien 1:1. Und in der Verlängerung sollte derjenige gewinnen, der das erste Tor schießt. Und das war Oliver Bierhoff. Er war zwar für das Spiel gar nicht vorgesehen, kam später rein, erzielte aber dennoch das Golden Goal. Das hatte sich der tschechische Torwart aber eigentlich selbst reingeworfen

Die Golden-Goal-Regelung kann man als Quatsch bezeichnen, andererseits ist ein Elfmeterschießen auch nichts Tolles. Und es wäre ja auch noch gekommen, wenn die Verlängerung ohne Tor zu Ende gespielt worden wäre. Im Nachhinein würde ich nicht sagen, dass es ungerechter wäre als ein Elfmeterschießen. Und da Deutschland gewonnen hat, hat sich auch keiner groß aufgeregt. Aber dieses Tor hätte auch nie fallen dürfen, denn es war ein ganz schwacher Schuss, den der Torwart im Grunde genommen schon gehalten hatte und sich selbst irgendwie noch ins Tor warf.”

Sieger: Deutschland



2000 (Belgien und Niederlande) und 2004 (Portugal) – Ein Tiefpunkt nach dem anderen

Frust bei deutschen Spielern. In der Mitte Michael Ballack, rechts Kevin Kuranyi

“Die Europameisterschaften 2000 und 2004 kann man gut zusammenfassen. Es waren zwei Turniere, die aus deutscher Sicht katastrophal liefen. So schlecht hatte eine deutsche Mannschaft noch nie gespielt und später auch nicht mehr. Zwischendurch ging es wieder, bei der WM 2002 in Japan und Südkorea, aber bei den beiden Europameisterschaften – das war wirklich unglaublich schlecht. Man konnte es sich nicht mit ansehen. Sie sind jeweils in der Vorrunde ausgeschieden und haben sich fürchterlich blamiert. Erich Ribbeck war im Jahr 2000 der Teamchef. Ihn haben viele sowieso nicht für voll genommen. Er war nach der Ablösung von Berti Vogts auch gefühlt der 15. Kandidat gewesen. War einer der wenigen, die erreichbar waren und die es machen wollten. Damals war der DFB in einer Situation, wie man es sich heute gar nicht vorstellen kann. Völlig desolat. Bis dahin war ja alles relativ gut und erfolgreich über die Bühne gegangen. Und dann kamen diese beiden EM-Endrunden.

2004 war Rudi Völler schon Trainer, der die Mannschaft eigentlich ganz gut im Griff hatte, Vizeweltmeister geworden war. Aber 2004 war so schlecht, dass Völler zurückgetreten ist. Er hatte so ein gutes Standing, dass man ihn nicht gefeuert hätte. Er trat selbst zurück.”

Sieger: Frankreich (2000) und Griechenland (2004)

2008 in Österreich und der Schweiz – Die spanische Ära beginnt

Im Bild: Finaltorschütze Fernando Torres (links) und Torschützenkönig David Villa

“Seit dem Sommermärchen, der WM 2006, ging es dann wieder aufwärts. 2008 war das erste große Turnier mit Joachim Löw als Cheftrainer. Die Deutschen waren gut und kamen ins Endspiel. Dort wurden ihnen allerdings Grenzen aufgezeigt. Das Ergebnis war eine 0:1-Niederlage gegen Spanien. Das klingt spannend, tatsächlich war Deutschland jedoch erschreckend unterlegen.”

Sieger: Spanien

2012 in Polen und der Ukraine – Das nackte Entsetzen

Mario Balotelli posiert nach einem Halbfinaltreffer gegen Deutschland. Links im Bild Philipp Lahm.

“Was 2012 geschah, war schon häufig im Fußball passiert: Die Deutschen hatten eigentlich eine gute Mannschaft, Italien war aber Endstation. In Erinnerung bleibt natürlich die Szene von Mario Balotelli.

Er hatte keine große Karriere, war kein Weltklassespieler, spielt heute daher auch keine Rolle mehr. Leider hatte er zum Leidwesen der Deuteschen im Halbfinale 2012 einen Sahnetag erwischt und zwei Tore gemacht. Was danach folgte, weiß jeder noch. Wer es nicht weiß, sieht es auf dem Bild oben.

Es gab aber noch einen anderen Aufreger: Alle waren sich sehr einig, dass Löw einen Fehler gemacht hat. Er hat die Mannschaft, die im Viertelfinale 4:2 gegen Griechenland gewonnen und gut gespielt hatte, verändert und unter anderem Toni Kroos aufgestellt. Kroos genießt jetzt zwar ein großes Standing, das war damals aber nicht so. Und er hatte auf dem Feld auch keine richtige Position, sodass die Partie taktisch in die Hose ging. Mittlerweile hat Löw auch mehrfach zugegeben, dass es ein Fehler war.

Besonders bitter: Im Endspiel hat man gesehen, dass Deutschland eine wirklich sehr gute Chance vergeben hat. Dass sie eigentlich besser waren als Italien hat das Endspiel gezeigt, in dem Spanien gegen Italien 4:0 gewann.

Die Spanier waren um einige Klassen besser als die Italiener. Mit dem Ergebnis von 0:4 war Italien noch ganz gut bedient. Es war eine ähnlich klare Sache wie das 3:0 der Deutschen gegen die Sowjetunion 1972. Die beiden Mannschaften hatten jeweils ein Ära: Die Spanier von 2008 bis 2012 inklusive der WM 2010 und Deutschland von 1972 bis 1976. Denn das  Endspiel 1976 wurde ja nur durch den verschossenen Elfmeter verloren, sonst hätte es auch geklappt mit den drei Siegen.”

Sieger: Spanien

Fotos: dpa

Zwischen Erfolg und Elend
  1. 1960 in Frankreich – Das erste Mal
  2. 1964 in Spanien – Und sie spielen doch gegeneinander
  3. 1968 in Italien – Langeweile ohne Deutschland
  4. 1972 in Belgien – Einzigartig gut
  5. 1976 in Jugoslawien – „Den Ball suchen die heute noch“
  6. 1980 in Italien – Spiele vor halbleeren Rängen
  7. 1984 in Frankreich – Ein Torrekord für die Ewigkeit
  8. 1988 in Deutschland – Ein Schuss zum mit der Zunge schnalzen
  9. 1992 in Schweden – Titel statt Urlaub
  10. 1996 in England – Englischer Fluch und goldenes Tor
  11. 2000 (Belgien und Niederlande) und 2004 (Portugal) – Ein Tiefpunkt nach dem anderen
  12. 2008 in Österreich und der Schweiz – Die spanische Ära beginnt
  13. 2012 in Polen und der Ukraine – Das nackte Entsetzen